22. Januar 2025

Himmlisches Duett oder Kampf der Titanen?

Am 8. Februar 2025 spielt die Stadtharmonie Zürich Oerlikon-Seebach in der Tonhalle Zürich ihr jährliches Konzert. Das grosse Highlight: Die majestätische neue Orgel der Tonhalle wird ebenfalls mitspielen.

Es ist jedes Jahr ein Höhepunkt, nicht nur für die engagierten Musikerinnen und Musiker der Stadtharmonie, sondern auch für das Publikum. Das sinfonische Blasorchester sorgt immer wieder für Überraschungen, und auch in diesem Jahr wird man mit Sicherheit nicht enttäuscht werden. Ein sinfonisches Blasorchester und eine Orgel, zwei Grossmächte gemeinsam auf der Bühne: ein himmlisches Duett oder ein Kampf der Titanen?

Ein Gespräch über das Thema mit der Organistin Daniela Timokhine, dem Dirigenten der Stadtharmonie Zürich Oerlikon-Seebach, Carlo Balmelli, und dem Komponisten Thomas Trachsel.

Ein Gespräch mit der Organistin Daniela Timokhine, dem Dirigenten der Stadtharmonie Zürich Oerlikon-Seebach, Carlo Balmelli, und dem Komponisten Thomas Trachsel

Frühe Leidenschaft für die Orgel

Ursprünglich als Konzertpianistin ausgebildet, entdeckte Daniela Timokhine früh ihre Leidenschaft für die Orgel und begann ihre Konzertkarriere bereits im Alter von 17 Jahren. Nach dem Abschluss ihres Orgelstudiums mit Lehr- und Konzertdiplom setzte sie ihre Ausbildung in Paris bei Maître Daniel Roth an der weltberühmten Orgel der Kirche St. Sulpice fort.

Mit der 2021 erbauten Kuhn-Orgel in der Tonhalle Zürich hat Daniela Timokhine bereits Erfahrung. Sie durfte das erste Solo-Rezital der Saison nach der Renovation spielen. Ausserdem gestaltete sie für die Tonhalle-Gesellschaft Zürich den Orgeltag für Kinder und spielte beim Halloween-Familienkonzert.

Sie weiss also, wovon sie spricht: «Die Orgel hat einen wunderbar warmen und vollen Klang mit sehr schönen Bässen und ist fantastisch auf die Saalakustik abgestimmt. Für mich ist sie etwas ganz Besonderes mit vielen speziellen und reizvollen Registern und unendlich vielen Möglichkeiten.»

Kontrastreiches Programm

Am 8. Februar wird das Konzert mit Bachs berühmter 'Toccata und Fuge in d-Moll' eröffnet. Darauf folgt das 'Concertino für Orgel und Blasorchester' von Thomas Trachsel. Dazwischen liegt ein musikalischer Sprung von etwa 300 Jahren. «Kontraste machen ein Programm erst interessant», sagt Solistin Daniela Timokhine, und weiter: «Verschiedene Stile im gleichen Programm zu interpretieren ist immer spannend». Sie hat das Werk von Thomas Trachsel für dieses Konzert neu einstudiert: «Das fulminante 'Concertino' ist ein anspruchsvolles Stück und verlangt von der Spielerin höchste Virtuosität. Ich kannte es noch nicht und bin gespannt, wie es zusammen klingen wird.»

Orgel und Blasorchester auf Augenhöhe

Thomas Trachsel hat an der Hochschule Bern neben Direktion und Schlagzeug auch Orgel studiert, unter anderem bei Heinz Balli, Organist der Berner Münsterkirche. Das imposante Instrument hat den Komponisten schon als Kind fasziniert, und je näher er es kennenlernte, desto grösser wurde seine Begeisterung. Trachsel schrieb 2007 im Auftrag des Symphonischen Blasorchesters Feldmusik Sarnen und dessen damaligem Dirigenten Rolf Schumacher das dreiteilige 'Concertino für Orgel und Blasorchester'. Der Komponist ist immer wieder überrascht: «Interessanterweise ist das Concertino das von mir komponierte Stück, das wohl am meisten gespielt wird.»

Carlo Balmelli spekuliert: «Vielleicht liegt es daran, dass sich bislang nur sehr wenige Komponierende dieser Gattung gewidmet haben. Bei einem Orgelkonzert mit Blasorchester begegnen sich beide Partner auf Augenhöhe, insbesondere was Klangfülle und -vielfalt betrifft.»

Organistin Daniela Timokhine stimmt zu: «Die Herausforderung liegt in der Klangbalance. Ein Blasorchester ist selbst schon laut, die Orgel soll aber hörbar sein. Da ist ein ganz anderes Klangkonzept nötig als mit einem Streichorchester oder wenn man solo spielt.»

Thomas Trachsel ergänzt: «Blasorchester und Orgel zusammen haben einen grossen Verschmelzungsgrad. Es ist definitiv besser, auf einer Orgel mit vielen Registern zu spielen, damit ihr Klang nicht verloren geht.» Das dürfte in der Tonhalle kein Problem sein.

Die Klangbalance als Herausforderung

In den eigenen vier Wänden übt Daniela Timokhine an einer Digitalorgel. Selbstverständlich ist ihr auch wichtig, mit der Raumakustik und einer «richtigen» Orgel zu üben. Grosse Orgeln gibt es jedoch nicht an jeder Ecke, und leider war es nicht möglich, Tutti-Proben in der Tonhalle zu organisieren. Dies macht das Zusammenspiel nun noch anspruchsvoller.

Die Stadtharmonie wird mit Daniela Timokhine an ihrer «Hausorgel» in der Reformierten Kirche in Zürich-Altstetten proben, wo sie als Organistin und Teamleiterin Musik arbeitet. «Jede Orgel und jeder Raum ist akustisch einzigartig, man braucht Gewöhnungszeit,» erläutert sie. «Es muss das ganze Klangkonzept für beide Räume und beide Orgeln entwickelt werden – also ein doppelter Aufwand. Mit nur einer Probe in der Tonhalle, gleich vor dem Konzert, werde ich sehr flexibel und anpassungsfähig sein müssen.»

Diese Herausforderung beschäftigt auch Carlo Balmelli – die Klangbalance liegt buchstäblich in seinen Händen. Um sich besser darauf vorzubereiten, hat er Daniela Timokhine bereits an der Orgel in Altstetten getroffen. Der Dirigent macht sich deshalb keine Sorgen, er hat viel Vertrauen in die sehr erfahrene Solistin. Dazu erklärt er: «Das Zusammenspiel in der Tonhalle wird technisch einfacher sein als in Altstetten. In der Tonhalle ist der Spieltisch mobil und gewährleistet die Sicht zum Dirigenten. Daniela Timokhine sitzt also näher und wir können schnell kommunizieren und musikalisch reagieren.»

Ein Orgelkonzert mit Blasorchester ist ein eher seltenes und nicht zu verpassendes Ereignis. Dürfen wir uns vielleicht auf weitere Orgelconcerti aus Trachsels Feder freuen? Nach sehr intensiven Jahren, in denen er unter anderem seine 4. und 5. Sinfonie sowie die Oper 'Maddalena' geschaffen hat, die weltweit erste Oper, die speziell für Blasorchester komponiert wurde, braucht er eine Pause, sagt Trachsel. Für die eigene Psychohygiene möchte er in naher Zukunft eher kleinere Werke komponieren. Aber wer weiss, er hatte auch nicht geplant, fünf Sinfonien zu komponieren.

Ein Tasten- oder ein Blasinstrument?

Zum Schluss haben wir allen dreien die gleiche Frage gestellt: «Ist für Sie die Orgel ein Tasteninstrument oder ein Blasinstrument?» Thomas Trachsel hält diese Frage für schwierig zu beantworten. Die Orgel ist für ihn ein bisschen beides, ein eigenständiges «Tastenblasinstrument». Im Gegensatz dazu ist für Dirigent und Posaunist Carlo Balmelli die Orgel klar ein Tasteninstrument. «Obwohl es sehr viel Luft gibt, wird sie mechanisch erzeugt, und man kann Luftmenge und -druck nicht musikalisch einsetzen, nicht damit ‹spielen› wie bei einem Blasinstrument», sagt er.

Auch für Daniela Timokhine ist die Orgel in erster Linie ein Tasteninstrument: «Die Tonansprache braucht aber wie bei Blasinstrumenten manchmal etwas mehr Zeit und ist nicht so direkt wie beim Klavier. Die Klänge reichen von denen der Streicher über Flöten bis hin zu Oboen oder Trompeten. Da die Luft von einem Motor und nicht einer menschlichen Lunge produziert wird, kann man Klänge theoretisch unendlich lange aushalten.» Sie erwähnt, dass in Deutschland seit 2001 das weltweit längste Orgelstück erklingt, John Cages 'As Slow As Possible'. Dieses soll noch bis zum Jahr 2640 mit unendlichen Tönen andauern.

So lange können die Musiker und Musikerinnen der Stadtharmonie ihre Töne eindeutig nicht halten. Nichtsdestotrotz verspricht das Konzert am 8. Februar innerhalb von zwei Stunden eine hochspannende Reise durch mehrere Jahrhunderte, stammt doch das Programm mit dem Leitmotiv «Toccata» aus der Feder von Komponisten mit Jahrgängen von 1685 bis 1997.

Die Stadtharmonie und die Solistin Daniela Timokhine freuen sich sehr darauf, die Zuhörenden auf dieser Expedition zu begleiten.

Konzert & Vorverkauf↗

Bilder: Orgel https://www.orgelbau.ch/de/orgel-details/114680.html

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